Das kreative Herz Europas

Das kreative Herz Europas

Auf den ersten Blick hat Prag sein bekanntes Gesicht bewahrt. Wer jedoch genau hinschaut, wird in der „goldenen Stadt“ viel Neues entdecken und dabei manche Überraschung erleben.

Wer Prag besucht, sollte sich unbedingt einen aktuellen Reiseführer zulegen. Denn innerhalb weniger Jahre sind in der Moldaumetropole zahlreiche architektonische und künstlerische Highlights entstanden, die das altehrwürdige Stadtbild bereichern und die sich Besucher nicht entgehen lassen sollten.

Inmitten des touristisch-historischen Ensembles zwischen Wenzelsplatz und Goldener Gasse, Pulverturm und Karlsbrücke, Kleinseite und Altstadt hat nach der Samtenen Revolution von 1989 eine neue Kreativität Einzug gehalten. Ein besonders auffälliges Beispiel dafür sind „Ginger und Fred“, wie die Prager das Bürogebäude am Ufer der Moldau nennen, weil dessen Aussehen sie an ein Tanzpaar erinnert. In seiner obersten Etage beherbergt das Tanzende Haus, wie es offiziell heißt, das Restaurant Céleste*. Zu ­dessen Angebot gehört neben der französischen Küche der Panoramablick über die Moldau und die Prager Burg, den Hradschin.

Ein hängendes Pferd

Auch in Prag ist Kunst im öffentlichen Raum oft umstritten. Zu den prominentesten und meistdiskutierten Kreativen der Stadt gehört David Černý. Der Bildhauer parodierte beispielsweise das berühmte Reiterstandbild auf dem Wenzelsplatz: Sein heiliger Wenzel „reitet“ in der Lucerna-Passage ein totes Pferd, das kopfüber unter der Decke hängt. Weitgehende Zustimmung erhielt der Künstler allerdings für die „Dekoration“ des in der sozialistischen Ära errichteten Fernsehturms in Žižkov, dessen Anblick vielen Pragern verhasst war. Seitdem Černýs berühmte Miminkas (Babys) den Turm hinaufkrabbeln, schauen auch viele Touristen etwas wohlwollender in die Höhe.

Der allgegenwärtige Kafka

Aber Prag hält auch seine alten Künstler in Ehren, allen voran den allgegenwärtigen Franz Kafka. Kafka auf Tassen, auf Postkarten, auf T-Shirts – die Ausstellung über Leben und Werk des Schriftstellers in dessen Geburtshaus (Namesty Franze Kafky) ist ein Touristenmagnet. Wer auf Kafkas Spuren durch die Stadt wandert, entdeckt zwangsläufig viele Sehenswürdigkeiten und taucht dabei in die Erinnerungen an das alte Prag ein. Ein Kafkamuseum gibt es natürlich auch, kafkaeske Stimmung inklusive: Düstere Klänge und das Krächzen von Raben begleiten den Besucher durch die Multimedia-Ausstellung, die auch das gespaltene Verhältnis des berühmten Sohns zu seiner Stadt beleuchtet: „Verdammte Stadt, ein böses Muttchen mit Krallen …“ hat er sie wenig schmeichelhaft genannt.

Die goldene Stadt, die Stadt der hundert Türme, das Herz Europas oder die Mutter aller Städte heißt Prag bei denen, die sich in ihr wohlfühlen. Zu ihnen gehörte sicherlich auch Wolfgang Amadeus Mozart. Der Komponist war zeitweise Prager und feierte hier große Erfolge, etwa bei der Uraufführung seines Don Giovanni. Obwohl kein Sohn dieser Stadt, hat sie ihn doch für sich vereinnahmt: Sein Ausruf „Ja, meine Prager verstehen mich!“ dient Pragern als Beleg dafür, dass sich das „Wunderkind“ in ihrer Stadt erheblich wohler fühlte als in Wien oder Salzburg. Auch deshalb sind die Werke des Komponisten aus den Programmen der Prager Konzertsäle nicht wegzudenken.

Mekka der Jazzmusik

Wer es moderner mag: Prag ist ein Mekka für Jazzmusiker und -fans. Diesen Ruf hatte sich die Stadt bereits vor dem Fall des Eisernen Vorhangs erworben. Jazzfreunde müssen in Prag nicht lange suchen: Das Angebot ist vielfältig. Das Reduta beispielsweise, ältester Jazzkeller der Stadt, bietet traditionellen Jazz. Bekannt wurde der Klub auch, weil auf seiner Bühne 1994 zwei Staatsoberhäupter jammten: Václav Havel begleitete den Saxofon spielenden Bill Clinton mit der Rumbakugel.

Spaziergang durch Prag

Kaum eine europäische Metropole eignet sich mehr, zu Fuß entdeckt zu werden, als Prag. In den alten Gassen kommen diejenigen auf ihre Kosten, die kleine Geschäfte, Restaurants und Cafés lieben. Hier können sie sich einfach treiben und überraschen lassen. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird ihr Weg sie zur Karlsbrücke und über die Moldau zur Kleinseite führen, über der die Prager Burg, der Hradschin, thront. Den Spaziergang über die Brücke entlang der 38 Heiligenstatuen und der Stände von Künstlern und Souvenirhändlern lassen sich nur wenige entgehen. Drüben haben Fußgänger die Wahl: Viele machen sich auf den Weg zur Burg, andere erkunden die kleinen Gässchen der Kleinseite oder entspannen bei einem Spaziergang am Ufer der Moldau. Wie die Entscheidung auch fällt, einen Reiseführer sollten sie jederzeit zur Hand haben. Und: Aktuell sollte er sein.

*Damals ein heißer Tipp, mittlerweile gibt es das Restaurant Céleste nicht mehr.